Joost de Jonge: Die Archäologie der Persönlichkeit
Robert C. Morgan Ph.D.
„Nicht
jede Malerei ist romantisch, aber die Essenz der Romantik bildet die Grundlage
für jede echte Malerei.‟ Robert Motherwell
Viele
Kunstmaler streben in ihrem Werk nach Freiheit, wie diese vom amerikanischen
abstrakten Expressionisten Robert Motherwell im Sommer 1967 in einer Lesung,
die er an der Universität von Harvard hielt, in Worte gefasst wurde. Joost de
Jonge ist aus meiner Sicht einer dieser Künstler. Regelmäßig fühlt sich ein
Kunstmaler gezwungen, seine Arbeitsweise zu erläutern. Ich bin zum Beispiel
gespannt, was Joost über seine Farbwahl sagen würde, die das eine Mal so direkt
erscheint und sich das andere Mal aus unterschiedlichen Schattierungen
zusammensetzt, in einzelnen Streifen nebeneinander. Ich würde gerne von ihm
erfahren, wie es möglich ist, dass die Ecken in seiner Malerei von Wellen und
Rundungen verschluckt werden. Dann gibt es noch den Aspekt der vertikalen
Ausrichtung seiner Traumlandschaften: Egal, ob sie an eine Landschaft oder an
einen Meeresblick erinnern, bleibt die Frage, wie sich diese Vertikalität zu
der konventionelleren horizontalen Orientierung verhält.
Die Frage der
vertikalen und horizontalen Aspekte in der Malerei wurde 1917 bereits in den
Schriften des Mathematikers und Mystikers Schoenmaekers dargelegt. Das Werk des
von Hegel inspirierten Niederländers hatte großen Einfluss auf Mondriaan. Eine
solche Analyse und ein solcher Austausch durch die gesprochene Sprache, sogar
durch eine Übersetzung, ergeben sich selbstverständlich aus dem Akt des Malens.
Es gibt
Umstände, in denen es vollkommen angebracht ist, Zweifel zum Ausdruck zu
bringen, eine Denkweise, die sich Kunstmaler im Allgemeinen aneignen sollten.
In anderen Situationen spielt die Sprache eine wichtige Rolle, sogar eine
Schlüsselrolle, vor allem, wenn etwas dem Künstler visuell ungreifbar
erscheint, wenn es ein Hindernis bildet, zu dem Kern zu gelangen, was er in
abstrakter Hinsicht darzustellen versucht. Beide Formen der Notwendigkeit, um zu
einer sprachlichen Ausdrucksweise zu gelangen (durch die Undurchsichtigkeit der
visuellen Information und den Zweifel an deren Angemessenheit, oder indem daran
eine gewisse sprachliche Notwendigkeit zugrunde liegt) sind annehmbar. Auf jeden
Fall ist auch der Kontext dieser Äußerungen wichtig. Sprache und Zweifel verstärken
einander in Kunstwerken als unentbehrliche Gegenstücke von Anwesenheit und
Abwesenheit, das Gleichgewicht, das die Malerei zum Überleben braucht, vor
allem, wenn sie über die höchsten Gipfel streifen, balancierend am Rande eines
expressionistischen Impulses, ein wahrhafter Traum, der sich außerdem gerade
erst entfaltet. Wird der Künstler von Zweifeln im Hinblick auf das Malen
befallen, kann der Konflikt ihn entweder vorwärtstreiben, entgegen seinem
bewussten Verlangen, oder aber eine Bewegung des Rückzugs und der Reflexion
auslösen. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Konflikt sublimiert wird und
dass das Malen anschließend, mit all seinen Unvollkommenheiten, als ein heldenhaftes
Unterfangen bezeichnet wird, indem es in seiner materiellen Beschaffenheit den
Abglanz einer greifbaren Wirklichkeit behält, nicht rein visuell zu existieren
scheint, inmitten der heutigen hektischen, von Geschwindigkeit heimgesuchten
virtuellen Plage, in der möglicherweise das Prickeln der Sinneswahrnehmung doch
noch anwesend sein kann.
Die Gemälde
von Joost de Jonge geben uns etwas, das wir, auch wenn es vielleicht unbewusst
oder aufs Geratewohl ist, fühlen und berühren müssen, nämlich die Geschichte
der Überreste des menschlichen Bewusstseins, das ins Treiben gekommene Dilemma
des Neo-Modernisten, das in jeder Hinsicht genauso wichtig ist, wie das Echo
der Gemälde selbst.
Ich finde am
Werk von Joost de Jonge Folgendes interessant: Es zeigt, wie schwierig es ist,
in anderen als rein formellen oder theoretischen Begriffen über einzelne
Gemälde zu reden, unabhängig von der Gesamtheit. Obwohl die Teile im Verhältnis
zum Ganzen außerordentlich bedeutungsvoll sind, ist die formelle Sprache der Vergangenheit
unzureichend, ungeachtet der Tatsache, ob sie aus einer amerikanischen oder
europäischen Perspektive entziffert wird. Ich neige dazu, McLuhans Begriff „pattern
recognition‟ („Mustererkennung‟)
zu borgen, oder die ungreifbare Metapher „eyewash‟ („Augenwischerei‟) des Filmemachers Robert Breer. Diese
Begriffe sind insofern nahezu austauschbar, dass sie sozusagen in derselben
Remise enden. Beide Ausdrücke betrachten die Gesamtheit als die Erweiterung der
Teile. Jedes Gemälde von Joost trägt zu einem pixelierten Muster bei, das sich
zu einem konzeptuellen Bild entwickelt, während im gleichen Moment das größere
Ganze in einer expressiven Form kulminiert. Persönlich bin ich der Meinung,
dass diese englischen, nicht mehr üblichen Begriffe dissonierend, wenn nicht
abwehrend, im Verhältnis zu den Gemälden von Joost sind. In diesen – kritischen
oder rationalen – Momenten bieten die Begriffe einfach keinen guten Zugang zu
seinem Werk. Sie sind nicht ganz treffend, da sie nicht die Möglichkeit des
phänomologischen Motivs offenhalten, das sich in den Schatten seiner Kunst
versteckt und das die phantasmagorische Infrastruktur enthüllt, die in seinem
Gesamtwerk so deutlich sichtbar ist. Joost de Jonge ist vogelfrei. Er verweilt
in einer neo-modernistischen Stratosphäre, wo die Malerei nachdrücklich
anwesend sein will, nicht nur als ein Medium, sondern als die eigentliche
künstlerische Wahrheit.
Wie steht es
um die Archäologie der Persönlichkeit? Wer ist die Person? Ich lese Jung und
denke über die Individuation nach. Für diesen „allesfressenden‟ Schützling von Freud lag das verborgene
Selbst in der Symbolik der Malerei begraben. Für Jung befand sich die Quelle
der Malerei in Träumen, in denen Symbole erzeugt werden, die letztendlich durch
ihre unbewusste Reise zur Individualität verwirklicht werden. Man könnte sagen,
dass die geheimnisvolle Öffnung der Psyche des Künstlers ihren Höhepunkt in den
Träumen des verlorenen Ichs erreicht, auf einer ewigen Suche nach einem
stabilen Mittelpunkt. Das kann durch den Akt des Malens erfolgen, den Jung als die Kunst betrachtet, im weitesten Sinne des Wortes Symbole
zu schaffen. In den Fällen bot das Malen die Möglichkeit, Fragmente des symbolischen
Nicht-Selbst zu rekonstruieren und sie in einem funktionellen, holistischen
Selbst wieder erstehen zu lassen.
Die Gemälde
von Joost de Jonge sind Arbeiten über die Archäologie der Persönlichkeit (oder
der Existenz) in der Bedeutung von Jung. Sie suchen nach einer symbolischen
Wahrheit, die in Träumen aufgedeckt wird. Sie wirken auf mich wie halb
unbewusste Gemälde, da sie den Nährboden einer Flucht von Symbolen bilden, die
als Kanäle für die Neustrukturierung des Ichs fungieren. Diese Gemälde bewegen
sich in die Richtung des Persönlichen, während sie die Reste des verlorenen
Ichs ausgraben, die Fragmente auf eine Art und Weise zusammenfügen, die die
Sinne reizt und der bevorstehenden Aufgabe Vitalität verleiht: Das erneute
Erfinden des Malens als einsamer Akt, weit entfernt von einer Verschiedenheit
von Dingen, die unser sinnliches Bewusstsein ablenken und erschöpfen.
Die Gemälde
von Joost sind abstrakt, aber nicht abstrakt-expressionistisch. Ich habe zwar
unterstellt, dass mehrere Werke von Joost expressionistische Elemente
enthalten, aber im Großen und Ganzen atmen seine Gemälde nicht diese
Atmosphäre. Sie sind voll vibrierender Formen, Texturen und Farben, aber es
fehlt das formelle Konzept einer malerischen Fläche. Die Fläche, auf die mit
Ausdrücken wie „Colorfield‟ („Farbfeld‟) und „Colorfieldpainting‟ („Farbfeldmalerei“) verwiesen wird, ist mehr amerikanisch
als europäisch. Obwohl die Niederlande das niedrig gelegene oder flache Land
sind (les Pays-Bas), besteht, soweit
ich weiß, kein wesentlicher Zusammenhang zwischen dem weitläufigen Land und der
Geschichte der niederländischen Malerei. Das ändert nichts an dem Sublimen
(Erhabenen), das ich wahrscheinlich meine, wenn ich über expressionistische
Elemente in Joosts Werk spreche; das Sublime liegt jedoch nicht in der malerischen
Fläche verborgen. Das hat zur Folge, dass die Komposition in diesen Gemälden
eine integrale Rolle spielt, sogar wenn die Art und Weise, wie die Komposition
zustande kommt, gezielt untergraben wird, jedenfalls als ein hyperbewusster, vorab
festgelegter Entscheidungsprozess in seinem Werk.
Das kann man
auch zu seinem Stilgefühl sagen, oder vielleicht seiner hartnäckigen Leugnung
eines Stils. Jedes Gemälde wird schließlich eine Art winziger Bruch, mit dem
eine stilistische Konsistenz umgangen wird. Das ist, was sein Werk wachsen
lässt und ihm die Bedeutung von Archäologie im Hinblick auf das Selbst verleiht.
Findet die Ausgrabung täglich am selben archäologischen Ort statt? Vielleicht
nicht. Meiner Ansicht nach ist Joost de Jonge von einer herumreisenden Qualität
besessen, von seinem Geist als Reisender, der, schwebend von dem einen
bedingungslosen psychischen Fundort zum anderen, auf der Suche nach neuen
Entdeckungen ist. Er sorgt dafür, dass seine Malerei irdisch bleibt, und das
macht er paradoxerweise auf eine ätherische Art und Weise, wobei er
nachdrücklich auf neo-platonische Ideale verzichtet. Transzendenz scheint hier
nicht wahrscheinlich. Es hat eher den Anschein, als ob er sich von dem einen
archäologischen Fundort zum anderen begibt, von dem einen Tag zum anderen,
schwebend zwischen der Meereshöhe und dem Himmel.
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Kunstmaler Joost de Jonge – sein neuestes Werk
Ich weiß, dass sich Joost de Jonge in seinem neuesten Werk intensiv von der Musik und der großen Tradition der modernen europäischen Kunst hat inspirieren lassen. Er wird darüber hinaus auch von der Poesie und philosophischen Spekulationen angeregt und beeinflusst. Zwei Merkmale jedoch, auf die ich insbesondere aufmerksam machen will, sind das Elementarische sowie die Frische seines Malerwerks. Sieht man sich ein Bild von Joost an und anschließend eine ganze Reihe seiner Bilder, denkt man ganz und gar nicht an Einflüsse und Echos. Bei der Wahrnehmung seines Werks geschieht gerade das Gegenteil: man fühlt eine fundamentale Kraft, eine elementare Direktheit. Sogar jemand, der keine Ahnung von der westlichen Kunst hat – zum Beispiel ein Abgesandter eines anderen Planeten – könnte die Farben und Formen, die Kontraste und Überraschungen, die gegenseitigen Beziehungen und Verbindungen genießen, obwohl ein Fachmann oder Kunstliebhaber dafür wahrscheinlich ein größeres Auge hat.
Was ich am meisten am Werk von Joost bewundere, ist die Direktheit, die herrliche Verspieltheit, das pure Vergnügen an der Darstellung robuster Formen und der Genuss am Improvisieren mit Farbnuancen. Sein Werk ist spontan, es ist ein lyrisches Spiel mit Komplementen und Kontrasten, mit Groß und Klein, Dick und Dünn. Es ist ein Aufeinanderprallen von Farben, die ins Auge springen oder aber zurückweichen, von Feldern, die Energie durch überraschende Untertöne erhalten.
Andere haben auf Joosts Verwendung der Synästhesie hingewiesen, die Wahrnehmung des einen Sinnesorgans über ein anderes Sinnesorgan: das Hören des Visuellen oder das Schmecken der Farbe einer tastbaren Form. Goethe bezeichnete eine Kathedrale als ‘gefrorene Musik’. Baudelaire glaubte, dass alle Sinnesorgane in einer Wechselbeziehung zueinander im Tempel der Natur stehen. Rimbaud wies jedem Vokal eine Farbe zu. Psychologen erzählen uns, dass uns Synästhesie unter die Haut geht und jeder Kunst eine zusätzliche Dimension verleiht, da sie uns an unsere allerersten sinnlichen Erfahrungen erinnert, denn bei Babys sind die Sinnesorgane noch nicht voneinander getrennt und sind alle Wahrnehmungen pur, ohne jegliche Bezeichnung oder Definition. Unsere Wahrnehmung eines Tons, eines Lichtstrahls, des Geruchs von Regen war damals noch intensiv und nicht durch Erwartungen oder Gewöhnung getrübt. Unser Bewusstsein, unsere Fähigkeit zu genießen, entspringt dieser ursprünglichen Verbindung mit der Welt um uns herum.
Das Schöne an Joosts Bildern ist, dass er die Fähigkeit besitzt, die sich abgelagerten Schichten von Erwartungen und Annahmen und all die eingefahrenen Arten der Kunst abzupellen und auf irgendeine Weise das Urgefühl für Farbe und Form, die Ausgewogenheit von Form und Inhalt, von Linie und Raum, wieder wach zu rufen. Er beschreibt dies selbst als den Funken, der am Anfang eines jeden Werks steht, der jedoch immer ein Mysterium bleibt. Ich vermute, dass er selbst nicht genau weiß, wie er dies macht. Wahrscheinlich will er es auch nicht einmal wissen, genauso wenig wie ein Komponist wissen will, wie er oder sie den perfekten Ton findet, oder ein Mathematiker wissen will, wie er oder sie die verborgenen Beziehungen zwischen Zahlen visualisiert. Joost weiß, welche Dinge ihn inspirieren und ihm helfen, diesen Zustand der Phantasie zu erreichen. Ein Zustand, in dem er bereits beim Skizzieren entdecken kann, was er machen will, in spielerischen und häufig herausfordernden Experimenten mit Würfeln und Scheiben seines persönlichen Regenbogens, die er zusammenfügt, trennt oder nebeneinander stellt.
Wie ein Dichter diese Stelle tief in seinem Inneren finden muss, verborgen unter einer Schicht aus Konventionen und Klischees – seinen Kern, wo die Stimme ihren Ursprung findet und am stärksten ist, wo die Worte frisch und unentrinnbar sind, als ob man sie zum ersten Mal hört, so hat auch Joost einen Weg, oder mehrere Wege, zum tiefsten Kern in seinem Inneren gefunden, wo er visuelle Essenzen finden kann, die gänzlich ihm gehören, jedoch zugleich auch für jeden, der sie sieht, erkennbar sind.
Obwohl seine Kunst etwas zu haben scheint, was einige ‘primitiv’ nennen, ist sie gleichzeitig das Gegenteil von primitiv, da sie das Ergebnis einer jahrelangen Hingabe an die Malerei und an das Malen ist und von anderen Künsten, wie insbesondere der Musik, beeinflusst wird. Ein Merkmal der besten Kunst ist, dass es so scheint, als sei sie spontan in einem Moment geschaffen worden, und dass man nicht sehen kann, wie lange über ihr gebrütet und an ihr gearbeitet wurde. In seinen neuesten Bildern scheint Joost eine Welt zu schaffen, die wir noch nie zuvor gesehen haben, jedoch sofort erkennen, eine verzauberte Landschaft erhöhter Wahrnehmung und Besetzung, in aufeinanderfolgenden Rahmen, in aufeinanderfolgenden Kombinationen, während wir den Künstler auf seiner wunderbaren Reise folgen.
Abschließend möchte ich noch auf das hinweisen, was ich nur die Ehrlichkeit seiner Bilder nennen kann, ihre Stabilität und Direktheit, ihre Integrität. In jedem Bild fühlt man seinen Charakter, sein Selbstvertrauen, seine Wärme, die sich mit der Welt um uns herum vereinen möchte und mit einer Menschheit, die eine neue, authentische Vision braucht.
Robert Ray Morgan, Kappa Alpha Professor Englische Sprach- und Literaturwissenschaften, Januar 2011.
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JOOST de JONGE: GenialesKrickelkrackel
Dominique Nahas©2010
Die Kritzeleien von Joost de Jonge verdienen aus verschiedenen Gründen unsere unmittelbare Aufmerksamkeit, illustrieren doch eine wichtige Entwicklung im Werk des Künstlers. Auch die neuen Werke tragen die sprühende, vitalistische Energie der früheren Gemälde in sich, doch jetzt offenbaren sich in seinen Malereien auch andere Merkmale des Künstlers. Im Gegensatz zu seinen grundsätzlich gut organisierten, in synthetisch hellen Farben gemalten neomodernistischen Flächen, die (in chromatischer Hinsicht) vom Einfluss der niederländischen Stijl- und CoBrA-Bewegungen zeugen, enthalten De Jonges Kritzelzeichnungen zum ersten Mal auch eine figurative Komponente. Damit lässt sich die Fläche der Gemälde in verschiedene diskrete Quadranten unterteilen (wie bei einem splitscreen). Beispiele dafür sind Modul 11 und Modul 13, in denen die Bahnen der drei Teile scheinbar drei gleichzeitig bestehende, jedoch getrennte Welten darzustellen scheinen. In anderen Zeichnungen erscheinen figurative Elemente als kleine, schwebende, beseelte Einheiten, dreidimensionale Objekte oder kalligrafische Elemente in 3D, die häufig mit Aushöhlungen und Löchern versehen sind, die lose im Raum zu schweben scheinen. Diese Teile mit dreidimensionalen Segmenten, die regelmäßig gestreifte Abschnitte enthalten, verfügen über eine schwungvolle, komische Sensibilität, die den Eindruck vermittelt, anthropomorphen Ursprungs zu sein. Bisweilen finden sich diese Formen in einem zentralen Bereich, wie in Nr. 30 jpg, und nehmen einen überhöhten, totemistischen Charakter mit Umrissen an, die in gewisser Weise an den Nahen Osten erinnern.
Das Wort „Kritzelei“ wird häufig in einer negativen, abwertenden Bedeutung gebraucht. Kritzeleien gelten als Ausdrucksform des Kindes, als Ausdruck der instinktiven Triebe oder des ungezügelten „Es“. Von „ernsthaften“ Menschen wird erwartet, dass sie Kritzeleien nicht ernst nehmen. Kritzeleien werden als unkultiviertes und atavistisches energetisches Geschmiere betrachtet, das schnell auf das Papier hingeworfen und worüber nicht weiter nachgedacht wird. Die Kritzelei wird somit zu einer ästhetisierten Äußerung eines Impulses, dem weiter kein intellektueller, ideationaler oder ikonografischer Wert beigemessen wird. Begriffe mit einer ähnlich abschätzigen Konnotation sind „Schmiererei“, „Krakel“ und „Kakographie“ (oder scribble’, ‘squiggle’ und ‘scratch’ im Englischen). Man hört es schon an der Sprache: Es sind die knarzenden Geräusche, die der Körper von sich gibt (der Anus, die Eingeweide, nicht mehr die eher erhabenen Teile des menschlichen Systems wie Gehirn, Geist und Seele). Kritzeleien gehören, wie Georges Bataille es ausdrücken würde, zum Bereich des Minderwertigen und Niederen. Kritzeleien entstehen aus schwacher Energie. Daher können sie nicht „produktiv“ verwendet werden. Die Kritzelei ist eine brutale (und womöglich sogar hinterhältige) Ausdrucksform, mit der man es sich selbst leicht macht (und ehrliche, ethisch akzeptierte Anstrengungen vermeidet). Gekritzel ist impertinent und hält sich nicht an die Regeln einer „signifikanten Form“.
Die Kritzeleien von Joost de Jonge besitzen eine jugendliche Energie und vermitteln einen flüchtigen, unbefangenen Eindruck, so wie Fehler und Täuschungen, die (bestenfalls) verzichtbare Überreste eines Prozesses sind, der schließlich einem verfeinerteren und nobleren Ziel dient, den farbintensiven Gemälden, mit denen sich der Maler international einen Namen gemacht hat. Das ist natürlich nicht der Fall: Diese „flüchtigen“ farbigen Linienzeichnungen sind sehr bewusst geschaffene und vollkommen vollendete Kunstwerke. Sie sind voll und ganz Ausdruck der Vision, die De Jonge im Laufe seiner Karriere entwickelt hat. Wie auch in seinen früheren Werken untersucht De Jonge hier die physischen, mentalen und psychischen Energien, die seinen Körper während der Arbeit an diesen Zeichnungen durchfließen, und zwar in einem unkonzentrierten, dennoch vollständig im Hier und Heute anwesenden Bewusstsein. Auch wenn diese skizzenhafte Form der Kritzeleien auf Desinteresse und einen Mangel an Fokus hinzuweisen scheint, so sind sie doch genau das Gegenteil. Diese Kritzeleien sind Ausdruck von De Jonges treffsicherer Beherrschung dieser Ausdrucksform. Es scheint, als wären sie spontan und ohne Mühe entstanden. Sie befinden sich in einem Raum freier Formen, der an den Raum von Calder und Miró erinnert, ein energiegeladenes Universum mit karnevaleskem Charakter. Es mag banal klingen, wenn ich sage, dass eine authentische Entdeckungsreise in der visuellen Kultur sowohl der ultimativen Freiheit als auch einer zwingenden Notwendigkeit entspringt, und doch ist es gerade dies, was im Werk von De Jonge so offensichtlich ist. Wieder zeigt sich hier dieser unverkennbare Hauch der Unschuld, der seine Formen durchdringt. Der französische Kunstkritiker Charles Baudelaire behauptete 1863 in Le Figaro in einem seiner ursprünglichen Essays, die später unter dem Titel Der Maler des modernen Lebens gebündelt werden sollten, dass die tief im Innern liegende Schicht der kreativen Tätigkeit “...nichts anderes [ist] als die freiwillig wiedergefundene Kindheit”. Baudelaire fügt noch hinzu: „Diese tiefe und freudige Neugier verleiht den Kindern den gespannten, animalisch verzückten Blick vor dem Neuen, was es auch sein mag, Gesicht oder Landschaft, Licht, Vergoldung, Farben, schillernde Stoffe, Verzauberung der durch ihre Toilette verschönten Schönheit…“.
Die Kritzelzeichnungen von Joost de Jonge sind dank des suggerierten Zusammenspiels von Kunstfertigkeit und Spontaneität durchzogen von Vitalität, eines Zusammenspiels, das durch die Verschmelzung des Bewusstseins von Kind und Erwachsenem entsteht. In Friedrich Schellings Worten hört sich das folgendermaßen an: “... Das Kunstwerk reflektiert uns die Identität der bewussten und der bewusstlosen Tätigkeit …Der Grundcharakter des Kunstwerks ist also eine bewusstlose Unendlichkeit [Synthesis von Natur und Freiheit].“ Diese integrierende Qualitäten sind es, die der Empfänglichkeit De Jonges für das Verlangen zugrunde liegen, Gegensätze zu verschmelzen, sie außer Kraft zu setzen. Schließlich sind diese Zeichnungen Ausdruck der eindringlichen, gleichzeitig aber auch spielerischen Entdeckungsreisen des Künstlers im Bereich unserer Wahrnehmungen: Was und wie nehmen wir die Welt wahr, mit dem Kopf und mit dem Herzen.
Dominique Nahas ist unabhängiger Kurator und Kunstkritiker in Manhattan. Im Jahr 2010-11 ist er ‚critic-in-residence’ an der Hoffberger Graduate School des Maryland Institute College of Arts, derzeit arbeitet er als Gastkritiker an der Rhode Island School of Design. Nahas ist als fester Fakultätsmitarbeiter Dozent für Kunstkritik am Pratt Institute und beim New York Studio Residency Program.
Seine jüngste Monografie The Worlds of Hunt Slonem ist im März 2010 bei The Vendome Press erschienen.
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Der intuitive Mensch
Die Erde ist
erstarrtes Feuer
bebend in ihrem Innern
ist es noch flüssig
und unablässig in Flammen,
Das Leben von Tier und Mensch
gleicht dieser Erde.
Sind nicht alle Lebewesen
Seufzer
dieses brodelnden Feuerballs,
der Erde heißt?
So betrachtet sind sie
mit ihr verflochten,
ist jedes Leben ein Atemzug
des herumwirbelnden Gases
das sich mit den Elementen verbindet.
Das innere Feuer
ist einzigartig
es brennt unsichtbar,
verborgen in der ätherischen
Menschenwolke.
Hier ist das Sein des Menschen
in einer außerzeitlichen Form verschlungen,
herumtollende Zirkel und Ovale
ziehen sich wie Seifenblasen an
und bleiben auf unerklärliche Weise miteinander verbunden.
Einer einzigartigen Schwingung
des Göttlichen
entlehnt ein Individuum
seine Persönlichkeit
sie bestimmt
die Freiheit seines Geistes
der in Farben
atmet und sich bewegt.
Im reinen Sein,
das transparent
wie Firnis
über der materiellen Welt liegt,
tanzt der Geist,
traumbildhaft.
Das Feuer der Erde
brennt im Menschen,
Blut fließt
rot wie Magma
durch seine Adern.
Wird sein Bewusstsein
von den Strahlen einer Sonne berührt,
die ihn ruft
und ihre glühende Unbeweglichkeit
vor ihm ausbreitet,
tief in seinem Innern,
dort, wo der Raum endlos
ausgedehnt ist,
dann dringt er vor
zum Widerschein des Feuers,
zumindest erscheint es ihm so,
und doch ist es dort,
wo das echte Feuer
seinen Ursprung hat
und selbst
als geronnene Zeit ein- und ausgeatmet wird,
seine fühlbare Form
ist der konzentrierte Wille
des Konzepts Feuer.
Das Feuer,
Kraft ohne Form,
Ausdruck eines spirituellen Wollens,
voller Bedeutung und Versprechen;
ein Feuer, das wirklich brennt,
ist ein Zeichen der immanenten Anwesenheit
einer anderen Dimension,
die der intuitive Mensch kennt.
Joost 2009
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